Drängeln, Ausbremsen, obszöne Gesten – wer regelmässig im Strassenverkehr unterwegs ist, kennt solche Situationen gut. Die Erfahrungen aus der Beratung von RoadCross zeigen: Im Strassenverkehr reagieren wir viel emotionaler als abseits der Strasse. Grund dafür ist, dass das Auto als geschützter, anonymer Raum wahrgenommen wird. Was wir dagegen tun können, um nicht regelmässig in solche Konfliktsituationen zu geraten. Und wie wir dafür sorgen, dass mit mehr Respekt die Verkehrssicherheit zunimmt.

Auf Schweizer Strassen geht es zuweilen hektisch zu und her. Das Auto hintendran ist im Rückspiegel noch weit entfernt, nähert sich aber plötzlich sehr schnell, in hohem Tempo – und fährt ganz dicht auf. Dazu kommen Lichthupe und Händeverwerfen beim Drängler. Schon ist man mittendrin in der Spirale der gegenseitigen Aggressionen: Es wird geflucht, gestikuliert, geschimpft. Hinter dem Steuer sind wir manchmal wie entfesselt.

Gerade zu schnelles Fahren und zu dichtes Aufschliessen wird von vielen Menschen als aggressives Verhalten empfunden. Hört man sich um, scheinen die Meinungen gemacht. Praktisch alle Autofahrerinnen und Autofahrer fühlten sich von anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern unfreundlich behandelt, wähnten sich provoziert, aggressiv angegangen, eingeschüchtert. Die subjektive Wahrnehmung ist zudem, dass alles immer schlimmer wird.

Welches Verhalten wird als aggressiv empfunden?

RoadCross Schweiz unterstützt von einem Unfall betroffene Menschen. Die Erfahrung aus vielen Beratungsgesprächen zeigt, dass neben hoher Geschwindigkeit «dichtes Auffahren», «Lichthupen», «provokative Fahrmanöver», «Beleidigungen» und «Ausbremsen» als die aggressivsten Verhaltensweisen im Verkehr aufgeführt werden. Beruhigend zu wissen, dass es bei nicht mehr als 3 Prozent der Befragten schon zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen ist.

Interessant bei Umfragen unter Autofahrenden ist, dass viele eine Mitschuld eingestehen. Über die Hälfte gaben an, selber schon mal provoziert zu haben. Dies stimmt positiv, ist doch Selbsterkenntnis der beste Weg zur Besserung. Und Hand aufs Herz: Haben wir uns nicht alle schon mal über andere Verkehrsteilnehmende geärgert und über das Lenkrad gebrüllt?

Ziele und Auftrag der gemeinnützigen Stiftung RoadCross Schweiz:

RoadCross Schweiz (RCS), die Stiftung für Verkehrssicherheit, berät und begleitet Betroffene von Verkehrsunfällen und betreibt Präventionsarbeit.

Seit 2012 hat RCS in jährlich gut 450 Veranstaltungen um die 20’000 Personen erreicht. Ein Grossteil davon Jugendliche. RCS ist politisch neutral und setzt sich unabhängig vom Verkehrsmittel für die Verkehrssicherheit ein. Sie ist eine gemeinnützige Stiftung im Sinne der Art. 80ff des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Die Geschäftsstelle befindet sich in Zürich, ein weiteres Büro in Lausanne.

Stiftungszweck von RCS gemäss Statuten:

  1. Hebung der Verkehrssicherheit
  2. Die Förderung einer gesunden und massvollen Entwicklung des Strassenverkehrs
  3. Die Verminderung der Anzahl der Opfer und Geschädigten des Strassenverkehrs
  4. Beratung und Unterstützung der Opfer und ihren Angehörigen

Welche Situationen begünstigen aggressives Verhalten?

Eine grosse Rolle spielt die Gemütsverfassung, in welcher sich Menschen hinter das Steuer setzen. Steigt man schon gereizt ins Auto, wird der Verkehr kaum für Linderung sorgen und auch kleinere Vorfälle werden zu scheinbar grossen Geschichten. Hinzu kommt die zunehmende Arbeitsverdichtung und der Terminstress, welche die Situation im Strassenverkehr verschärfen können. Geht man davon aus, dass das Stressgefühl über den Tag eher ansteigt, dann kann dies mitunter ein Grund sein, wieso zwischen 17 Uhr und 18 Uhr die meisten schweren Unfälle geschehen.

«Mach mal Platz da!» – Mehr Sicherheit durch respektvolles Verhalten - Blog der AMAG Group AG
Grafik: Zwischen 17-18 Uhr gibt es einen Anstieg an schweren Verkehrsunfällen (Quelle: Sinus 2021 / bfu)

Allerdings gibt es keine Statistik zu Unfällen auf Grund von aggressivem Fahrverhalten. Die Polizei hält zwar Unfallgründe wie Vortrittsmissachtung oder Geschwindigkeitsübertretungen fest. Sie kann aber objektiv nicht feststellen, ob Aggression ein Auslöser für den Unfall war.

Auf den Strassen sind mittlerweile auch so viele Autos unterwegs wie nie zuvor. Dies macht sie für alle zu einem Störfaktor. Und durch das vermehrte Verkehrsaufkommen nehmen der Platzmangel und die Komplexität des Verkehrs stetig zu. Zudem werden die Autos immer grösser.

Das Auto als geschützter Raum

Es gibt Menschen, die sich stark verändern, sobald sie sich ans Steuer setzen. Dies hängt auch damit zusammen, dass das Auto einen geschützten Raum und viel Anonymität bietet. Ausfällige und drängelnde Autofahrerinnen und Autofahrer müssen keine Konfrontation mit anderen Verkehrsteilnehmenden befürchten, sie können kaum auf ihr Verhalten angesprochen werden, in der Regel bleiben sie völlig anonym. Rechtliche Folgen für Fehlverhalten sind ebenfalls eher selten. Von Psychologinnen und Psychologen wird das Verhalten auf der Strasse gerne auch mit Mustern verglichen, die in den Sozialen Medien gang und gäbe sind. Die Menschen äussern sich hemmungsloser, weil sie ihrem Gegenüber nicht in die Augen schauen müssen. Dies ist im Strassenverkehr ähnlich.

Und auch die Grösse des Autos kann eine Rolle spielen. Je grösser und stärker das Auto, desto grösser auch der empfundene und wirkliche Schutzraum und damit das Gefühl, dass nichts passieren kann. Laut der Unfallforschung fördert diese Sicherheit rücksichtsloses Verhalten. Zudem werden grosse Autos von andern schneller als bedrohlich wahrgenommen.

Was kann man tun?

Wie sollen wir also mit dieser Situation umgehen? Aus der Prävention gibt es verschiedenen Hilfestellungen, wie man für sich selber Stresssituationen reduzieren kann:

  • Zeitfenster für Ankunft angeben. Dies verhindert, dass man durch Verzögerungen in Stress gerät.
  • Zeitdruck nicht im Strassenverkehr ausgleichen. Wenn ich schon zu spät unterwegs bin, ist der Strassenverkehr nicht der Ort um Zeit gut zu machen.
  • Andere Verkehrsteilnehmende so behandeln, wie man selber behandelt werden möchte.
  • In stark gereiztem, emotional aufgewühltem Zustand den Strassenverkehr am besten ganz meiden.
  • Fehler anderer akzeptieren und nach Möglichkeit auskorrigieren.
  • Provokationen gar nicht erst zulassen. Manchmal hilft es einfach ruhig zu bleiben und eine mögliche Provokation ganz einfach zu ignorieren.
  • Ausgeruht, ausgeschlafen ins Auto steigen. Unter Schlafmangel reagiert man empfindlicher.
  • Ablenkungen nicht zulassen. Volle Konzentration auf die Fahrt!
  • An die Regeln halten. Klingt simpel. Aber wenn ich mich korrekt verhalte, bietet dies weniger Angriffsfläche für gereizte Verkehrsteilnehmer.

Nehmen wir gegenseitig Rücksicht und gehen respektvoll miteinander um, ist für die Verkehrssicherheit bereits viel gewonnen. Denn egal wohin wir wollen, haben wir alle doch ein gemeinsames Ziel. Wir möchten ankommen. Und das unbeschadet.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit RoadCross Schweiz.

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